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Unrühmliches Ende einer einzigartigen Zeit

Beim FC Hagen/Uthlede sind mit dem Abstieg vier Jahre in der Fußball-Oberliga Niedersachsen zu Ende gegangen

Drei Worte – mehr braucht es eigentlich nicht, um die vier Jahre des FC Hagen/Uthlede in der Fußball-Oberliga Niedersachsen auf den Punkt zu bringen: Kühe, Schweine, Dorfvereine! Irgendwie begann das Abenteuer 5. Liga für den Klub von der Blumenstraße mit genau diesen Worten. Am 10. August 2018 war das. Das erste Oberliga-Punktspiel an der Blumenstraße, Freitagabend, Flutlicht und dann auch noch dieser Gegner: SV Atlas Delmenhorst. Und diese Kulisse: 1500 Zuschauer, davon bestimmt 400 aus der Delmestadt.

Und die nach höherem strebenden Gästefans schleuderten den Hagenern von der ersten Minute an immer wieder das an den Kopf: Kühe, Schweine, Dorfvereine. Drei Worte – abgesandt als fiese Stichelei, aber aufgenommen als Ritterschlag. Ganz schnell eigneten sich die Hagener diesen Ruf an und machten ihn gewisserweise zu ihrem persönlichen Motto: Kühe, Schweine, Dorfvereine! Wir sind klein, wir haben nicht viel, aber seht her, was wir geschafft haben. Wir mischen mit im Konzert der Großen.

„Wir hatten auch in dieser Saison den Anspruch und Willen, die Klasse zu halten.“ Sportlicher Leiter, Gunnar Schmidt

„Am Ende waren und sind wir genau das: ein Dorfverein“, sagt auch Gunnar Schmidt. Der Teammanager des FC Hagen/Uthlede ist ein Kind des Vereins, hat die ersten Herren zwischen 2014 bis 2016 selbst trainiert und war in neuer Funktion dann auch in der Oberligazeit ganz nah dran am Team. „Ich will den Verein gar nicht kleiner machen als er ist. Wir hatten auch in dieser Saison den Anspruch und Willen, die Klasse zu halten. Am Ende darf man aber im Vergleich zu den anderen Teams nie vergessen, wo wir herkommen und wer wir sind.“

Kickers Emden, Atlas Delmenhorst, SC Spelle-Venhaus, Borussia Hildesheim oder Arminia Hannover – die Konkurrenz in den vergangenen Jahren war namhaft und/oder finanziell ziemlich gut ausgestattet. „Entweder waren es echte Traditionsvereine aus einer großen Stadt, oder es steckte ein richtig dicker Hauptsponsor hinter einem Klub. Und manchmal sogar beides“, bringt es Tjark Seidenberg auf den Punkt. Der frühere Spieler und baldige Chefcoach der Grün-Schwarzen hat die komplette Erfolgsära der Hagener hautnah miterlebt und -gestaltet. Von der Bezirksliga ging es bis in die Oberliga, für die man sich 2018 mit einer ganz starken Landesliga-Serie qualifizierte.

„Es stimmte einfach auf allen Ebenen. Jeder hat alles dem Teamerfolg untergeordnet.“ Kapitän Marlo Burdorf

Weitestgehend mit Bordmitteln um die viel zitierte „Goldene Generation“ mit Marlo Burdorf, Kai Diesing, Tjark Seidenberg und Axel France. Hinzu kamen Akteure wie Thomas Wischhusen, Mirko Franke, Yannick Becker oder Michel Klimmek und Tim Grundmann. Die jungen, aufstrebenden Justin Dähnenkamp und Erik Köhler rundeten einen Kader ab, über den der langjährige Kapitän Marlo Burdorf heute sagt: „Es stimmte einfach auf allen Ebenen. Jeder hat alles dem Teamerfolg untergeordnet.“ Was schon für die ziemlich optimale Landesliga-Meistersaison galt, traf noch mehr auf die erste Oberliga-Spielzeit zu.

Dabei hatte es nicht wenige gegeben, die den Hagenern ein ähnliches Schicksal wie dem SV Blau-Weiß Bornreihe prophezeit hatten. Die „Moorteufel“ waren zwei Jahre zuvor krachend in der Oberliga gescheitert, hatten in 30 Saisonspielen nur 19 Punkte einsammeln können und waren als Tabellenletzter sang- und klanglos wieder abgestiegen – und dienten somit den Oberliga-Skeptikern beim FC als warnendes Beispiel. Doch jene 19 Punkte hatten die Hagener dann bereits nach elf (!) Spieltagen zusammen, nach einem 1:1 gegen den MTV Wolfenbüttel stand das Team des damaligen Trainers Carsten Werde Ende Oktober auf Rang vier der Tabelle – nur zwei Zähler hinter Spitzenreiter TuS Bersenbrück. Platz neun war am Ende die schlechteste Platzierung der gesamten Saison. Kühe, Schweine, Dorfvereine – und einer davon rockte plötzlich die Oberliga.

Doch in der zweiten Spielzeit ging die anfängliche Euphorie und Konstanz verloren, und das auf eine bedenkliche Art und Weise. Immer wieder setzte es desaströse Niederlagen. Ein 0:9 beim 1. FC Germania Egestorf-Langreder, ein 0:10 beim SC Spelle-Venhaus. Nach dem 0:7 bei Blau-Weiß Lohne trat Carsten Werde schließlich zurück. „Die Heimfahrt nach dem Spelle-Spiel werde ich nie vergessen“, erinnert sich Teammanager Gunnar Schmidt. “Ich hatte damals Yannick Becker und Christoph Müller im Auto, kurz vor Brake wurde das erste Mal wieder geredet.“

Die Spielzeiten 2019/2020 und 2020/2021 wurden wegen der Corona-Pandemie schließlich abgebrochen, Benjamin Duray übernahm im Oktober 2020 den Trainerposten von Carsten Werde. Abgeschlagen und chancenlos waren die Grün-Schwarzen nie, doch dieses Gefühl aus der Premierensaison ließ sich einfach nicht mehr zurückholen. „Nach der ersten, so tollen Spielzeit rückten auch persönliche Themen wieder in den Fokus“, erinnert sich Marlo Burdorf. Spieler beschäftigten sich nun plötzlich mit lukrativen Angeboten, das große gemeinsame Ziel rückte Stück für Stück in den Hintergrund und verlor mehr und mehr seinen Glanz. Potenzielle Neuzugänge forderten plötzlich Summen, die vielleicht an anderen Oberliga-Standorten üblich waren, beim FC Hagen/Uthlede aber nicht. „Gewisse Dinge gehen bei uns einfach nicht. Und die wollten wir auch nie mitmachen“, bringt es Tjark Seidenberg auf den Punkt. Oder anders gesagt: Trüffelschweine hatten es beim Dorfverein immer schwer.

So kam in der abgelaufenen Spielzeit das, was irgendwann wohl nicht mehr zu verhindern war. Die Negativspirale drehte sich – befeuert durch großes Verletzungspech und ein unglückliches Händchen bei einigen wichtigen Transfers – kontinuierlich nach unten. „Es ist wirklich ganz viel schiefgelaufen in den vergangenen zwölf Monaten“, zeigt sich Tjark Seidenberg selbstkritisch, wohl wissend, dass der Kader durchaus die Qualität für ein weiteres Jahr in der Fünftklassigkeit gehabt hätte. Doch die Oberliga-Ära beim FC ging mit einer überaus enttäuschenden Saison zu Ende.

Langjährige Stützen wie Yannick Becker, Marlo Burdorf, Kai Diesing oder Christoph Müller werden den Verein nun verlassen. „Manchmal kam mir das alles vor wie in einem Film“, erinnert sich der langjährige Kapitän Burdorf vor allem an das erste Jahr gerne zurück. „Wir waren uns selbst nicht sicher, ob das vielleicht alles eine Nummer zu groß ist, haben es aber tatsächlich geschafft. Als kleiner Dorfverein.“ Apropos. Da war doch noch was an jenem 10. August 2018. Das erste Oberliga-Punktspiel gegen den großen Stadtverein SV Atlas Delmenhorst endete mit einem 2:2-Remis. Zur Pause hatten die Hagener bereits mit 0:2 hinten gelegen. Die explodierende Ekstase nach dem 2:2 von Axel France hat sich bei allen Anwesenden eingebrannt. Egal, wen man fragt, jenes Spiel vor 1500 Zuschauern wird von vielen als DER Oberliga-Höhepunkt schlechthin beschrieben.

Für Tjark Seidenberg gibt es da allerdings noch einen anderen ganz besonderen Moment. Einen, der ebenfalls mit dem SV Atlas zu tun hat. In der zweiten Oberliga-Saison war es, als bei den Hagenern die Leichtigkeit längst etwas abhandengekommen war und die Delmenhorster nach 17 ungeschlagenen Spielen schon mit Macht an die Tür zur Regionalliga hämmerten. Die Kicker von der Blumenstraße gewannen damals völlig überraschend mit 3:0 beim SV Atlas – und Tjark Seidenberg stimmte beim Gang vom Platz plötzlich einen kleinen, aber ziemlich lautstarken Freudengesang an: „Kühe, Schweine, Dorfvereine“ hallte es plötzlich durch das altehrwürdige Stadion Düsternort.

„Wir haben in diesen vier Jahren unglaubliche Sachen erlebt, positiv wie auch negativ“, bilanziert Tjark Seidenberg rückblickend. Das Kapitel Oberliga ist beendet, vorerst jedenfalls. Nun gehe es darum, eine neue Identität zu schaffen und neue Geschichten zu schreiben. „Beim FC Hagen/Uthlede ging der Impuls immer von den Spielern aus. Niemand von der Vereinsspitze hat gesagt, wir müssen hoch. Das waren wir Spieler, die sich unbedingt in der Oberliga beweisen wollten. Und so wird das auch in Zukunft hier sein.“


Quelle: Weser-Kurier vom 11. Juni 2022 verfasst von Tobias Dohr