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Der Kitt der Gesellschaft

Ex-Werder-Manager Willi Lemke wirkt in Hagen als Schiedsrichter und spricht über die Bedeutung des Sports

„Ich bin stolz auf die Kinder, es gab in 40 Minuten kein einziges Foul“, sagte Willi Lemke. Auch die Eltern lobte er, sie hätten geklatscht und wären weit weg geblieben vom Spielfeldrand. „Ich habe leider schon häufig erlebt, dass Eltern beim Fußballspiel ihre Kinder anschreien, dabei sollten sie Vorbild sein“, so der ehemalige Manager des Fußballbundesligisten SV Werder Bremen, der jetzt auf Einladung der SPD-Bundestagskandidatin Susanne Puvogel zu Gast in Hagen war. Als Schiedsrichter begleitete er ein Testspiel der Nachwuchsmannschaften U 9I und U 9II des JFV Staleke auf dem Sportplatz an der Blumenstraße.

Im Gespräch mit den Kindern, unter ihnen ein Mädchen, betonte er bereits vor dem Spiel, wie wichtig Fairness beim Sport sei. Auch eine gute Ausbildung, auf die bereits seine Eltern viel Wert gelegt hätten, sei unverzichtbar. Nach dem Abitur schloss Willi Lemke in Hamburg sein Lehramtsstudium der Erziehungs- und Sportwissenschaften mit dem ersten Staatsexamen ab. Vor seiner Tätigkeit als Fußball-Manager war er Geschäftsführer des SPD-Landesverbandes Bremen. Später gehörte er als Senator für Bildung und Wissenschaft sowie als Senator für Inneres und Sport zur Bremer Landesregierung. Von Ende 2007 bis Ende 2016 war er als Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden tätig.

Im Anschluss an das Fußballspiel in Hagen gab es im Vereinsheim des FC Hagen / Uthlede eine Diskussion mit Willi Lemke zum Thema Vereinsarbeit. „Was kann der Sport für den Frieden auf der Welt leisten?“ und „Quo vadis Profisport?“ Diesen beiden Fragen widmete sich der Fußballexperte in der abschließenden abendlichen Gesprächsrunde in der Bramstedter Bauernschänke.

Sorgen um Führungsnachwuchs

„Für mich ist der Sport so etwas wie der Kitt in unserer Gesellschaft, der uns zusammen hält“, sagte Lemke. In den acht Jahren seiner Tätigkeit als UN-Sonderberater habe er 115 Länder besucht, sagte er, und brachte Beispiele für die Bedeutung des Sports. So sei es in Kenia gelungen, zerstrittene Gruppierungen durch ein Fußballturnier erstmals zusammen zu bringen. In Vietnam hätten Kinder von HIV-infizierten Müttern durch ein Fußballprojekt den Weg aus der Isolation geschafft. „Sport hat einen wichtigen Stellenwert im Zusammenführen der Menschen“, meinte Willi Lemke, der den Sport im Verein als etwas Wertvolles sieht, bei dem es nicht nur um Bewegung auf dem Sportplatz, sondern auch um die Gesamtkommunikation gehe.

Das Besetzen der Führungspositionen in den Vereinen halte er für unglaublich wichtig: „Ich mache mir große Sorgen um den Nachwuchs in der Führung“, so der Sportfachmann, der sich mehr Mitarbeit junger Leute in den Vereinen wünscht und hier, besonders in Sachen finanzieller Unterstützung, auch einen Dialogbedarf zwischen dem Sport und der Politik sieht. „Meines Erachtens wird das Ehrenamt nicht so anerkannt, wie es sein müsste“, sagte er und kann sich eine Finanzierung dieser Arbeit durch spezielle Programme vorstellen.

Als „kaum erreichbar“ bezeichnete Günther Thielking den mittleren Altersbereich von 20 bis 50 Jahren. Er setze auf junge Leute, die mit dem DFB-Programm „Junior Coach“ an Funktionärstätigkeiten herangeführt werden sollen, oder auch auf Menschen in Altersteilzeit. “Ich sehe die Vereine in der Aufgabe, diese beiden Altersgruppen zu integrieren“, so Thielking, der selber als Schiedsrichter und Referent im Deutschen Fußball-Bund (DFB) tätig ist.

Auf Vergütung im Bereich des Ehrenamtes setzt Oliver Lottke (SPD): „Ich glaube, wir müssen als Politik auch Geld bereit stellen“, so der Loxstedter Politiker. Man müsse Anreize schaffen, meinte auch Susanne Puvogel. Das Ehrenamt sei etwas, das unsere Gesellschaft ausmache, aber nicht überstrapaziert werden dürfe. „Es kann nicht sein, das so wenig unten ankommt, bei den Margen, die verdient werden“, sagte sie und schlug vor, mit dem DFB andere Bedingungen auszuhandeln.

Dass das Geld im System des Sports bleiben sollte, wünschte sich auch Willi Lemke: „Der DFB als gemeinnütziger Verband sollte Zuwendungen aus dem bezahlten Fußball bekommen“, sagte er und könnte sich eine Änderung der Steuergesetze im Hinblick auf eine Art Künstlersteuer vorstellen.

Seine Prognose für die Entwicklung des Profisports fiel eher düster aus. „Für die Zukunft sehe ich eine Lizenzliga, die rein kommerziell organisiert ist und nichts mehr mit Auf- und Abstieg zu tun hat“, so Lemke. Es wäre verheerend, wenn Lizenzen von Reichen gekauft würden und alles nur noch Show wäre. „Das hat mit Sport aus meiner Sicht nichts mehr zu tun; wir müssen aufpassen, dass das nicht passiert“, betonte der 71-Jährige, der auch einen Einblick in die Millionen-Etats der Clubs gab: „Bayern München hat einen Haushalt von 600 Millionen Euro, Werder Bremen von 110 Millionen Euro“, verdeutlichte er die Größenordnungen im Profifußball.


Quelle: Osterholzer Kreisblatt vom 26.08.2017 verfasst von Andrea Grotheer